Weltreise Step #116: In Hiroshima, Japan

Hiroshima 2023 Titel

:: 28.08.2023 bis 02.09.2023 – Hiroshima, Japan ::

Die Stadt Hiroshima macht auf mich von Anfang an einen deutlich entspannteren Eindruck als Tokyo oder auch Kyōto. Wesentlich weniger Touristen laufen mir hier über den Weg, was ich ehrlich gesagt nicht erwartet hatte. Ich dachte schon irgendwie, dass die leider sehr traurige Geschichte der Stadt mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Aber vielleicht ist es für viele Touristen, die nur 1-2 Wochen Zeit haben, einfach zu weit weg von Tokyo, auch wenn man mit dem Shinkansen bequem und in akzeptabler Zeit dort sein kann. Und Flüge gibt es genug und sie sind auch bezahlbar.

Das soll mich nicht stören. Weniger Touristen bedeuten mehr Platz für alle anderen, und weniger bedeutet nicht, dass niemand hier ist. Es sind immer noch genug Leute unterwegs. So ist es nicht.

Vor allem der Peace Memorial Park (fast immer als Friedenspark übersetzt, obwohl die korrekte Übersetzung eigentlich Friedensgedenkplatz wäre) und das Friedensmuseum werden täglich von unzähligen Schulklassen besucht, was immer für viel Trubel sorgt.

Der Peace Memorial Park

Wo wir gerade beim Thema sind. Der Peace Memorial Park befindet sich an der Stelle, an der früher der dicht besiedelte Stadtteil Nakajima lag, über dem die Atombombe explodierte. Der gesamte Stadtteil wurde zerstört und man entschied sich gegen einen Wiederaufbau und für die Errichtung dieses Parks.

Über 70 Denkmäler, Gebäude und Skulpturen erinnern an dieses tragische Ereignis und die damit verbundenen Opfer. Wenn man die verschiedenen Orte besucht, überkommt einen schnell eine Art Schwermut und Traurigkeit. Ähnliches habe ich bisher nur an Orten wie dem Konzentrationslager Auschwitz, dem Gefängnis S21 und den Killing Fields in Phnom Penh oder dem Antikriegsmuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt empfunden.

Es ist einfach nur traurig und fassungslos anzusehen, selbst nach all den Jahren. 🙁

Trotzdem bin ich gerne hier und lasse alles auf mich wirken. Natürlich besuche ich auch das Friedensmuseum (der Eintritt kostet nur 200 YEN (~1,25 EUR), aber die Bilder dort sind ziemlich bedrückend), welches mich ein wenig an das Bauhaus in Dessau erinnert.

Jeden Tag, den ich in Hiroshima bin, gehe ich durch den Peace Memorial Park und hoffe, dass ich das Gefühl, das ich dabei habe, nie vergessen werde.

Der Atomic Bomb Dome

Direkt neben dem Peace Memorial Park steht der weltberühmte Atomic Bomb Dome (oft auch Friedensdenkmal genannt), der als Mahnmal erhalten bleiben soll. Die ehemalige Ausstellungshalle der Handelskammer von Hiroshima ist eines der wenigen Gebäude, die in unmittelbarer Nähe der Atombombenexplosion teilweise noch stand.

Das Gebäude zählt heute zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Alle Menschen, die zum Zeitpunkt der Explosion im Gebäude arbeiteten, kamen an diesem Tag ums Leben. Insgesamt starben ca. 70.000 Menschen direkt durch die Explosion und ca. 140.000 Menschen bis Ende 1945 an den direkten Folgen. Die Zahl der Opfer durch indirekte Folgen wie Krebserkrankungen etc. ist noch höher.

Es ist einfach grausam. 🙁

Anmerkung: In Hiroshima gibt es keine erhöhte Strahlenbelastung durch den Atombombenabwurf. Alle Erkrankungen in diesem Zusammenhang sind auf die unmittelbare Strahlung am Tag der Explosion zurückzuführen.

Die Straßen(bahnen) von Hiroshima

Außerhalb des Peace Memorial Parks bin ich natürlich auch unterwegs und erkunde die Stadt.

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Auch hier fasziniert mich wieder, wie in Japan immer wieder kleine Friedhöfe und Tempel direkt zwischen den Wohnhäusern integriert werden.

Mir gefällt immer noch der Gedanke, dass man jeden Tag seine Lieben besuchen kann, ohne weit fahren zu müssen. Das ist toll!

Hier passiert es mir auch zum ersten Mal in Japan, dass mich eine Einheimische einfach so anspricht und fragt, warum ich so interessiert fotografiere und woher ich komme. Viele Japaner sprechen kein Englisch und so war ich im ersten Moment etwas verwirrt. Aber dann haben wir ein paar Worte gewechselt. Das war schön und kam unerwartet.

Und ich feiere jedes Mal die Straßenbahn hier in Hiroshima. Es gibt einige wirklich alte und urige.

Das erinnert mich an meine Kindheit, als wir damals in Dessau mit den ganz alten und rumpelnden Straßenbahnen durch die Stadt fuhren.

Wenn ich das richtig verstanden habe, hat Hiroshima das längste Straßenbahnnetz in Japan. Und in diesem Zusammenhang fällt mir auf, dass ich erst hier die ersten Straßenbahnen gesehen habe. Hatten Tokyo, Kanazawa oder Kyōto welche? Ich glaube nicht, oder?

Last but not least gibt es auch außerhalb des Peace Memorial Parks in der ganzen Stadt immer wieder kleine Denkmäler und Orte der Erinnerung, die zum Nachdenken anregen.

Das gefällt mir sehr!

Die Burg von Hiroshima

An einem der Tage besuche ich auch die Burg von Hiroshima (Hiroshima Castle). Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert, wurde aber leider ebenfalls durch den Atombombenabwurf weitgehend zerstört und im Jahr 1958 als originalgetreuer Nachbau wiedererrichtet.

Heute dienen Teile davon als Museum für die Geschichte Hiroshimas vor dem 2. Weltkrieg.

Der Eintritt ins Museum kostet nur 370 YEN (~2,30 EUR) und lohnt sich meiner Meinung nach auf jeden Fall, vor allem wenn man sich Samurai-Rüstungen anschauen möchte. Es gibt einige zu sehen und man kann auch Teile davon (natürlich Repliken) anziehen und sich fotografieren lassen. Wer so etwas mag, wird dort sicher seinen Spaß haben.

Vom Burgturm (Castle Tower) hat man einen schönen Überblick über die Umgebung.

Bootstour zum Itsukushima-Schrein

Der Itsukushima-Schrein liegt auf der kleinen Insel Miyajima in der Nähe von Hiroshima und ist bekannt für sein rotes Tor, das im Wasser „schwimmt“. Vorausgesetzt, man kommt bei Flut hierher. Bei mir war leider Ebbe. So ist das eben. Dafür konnte ich direkt bis unter das Tor laufen. Ätsch!

Um auf die Insel Miyajima zu kommen, kann man entweder direkt mit dem Boot fahren, das praktischerweise direkt vom Peace Memorial Park abfährt, oder man nimmt die Straßenbahn oder den Zug entlang der Küste (sicher auch schön) nach Miyajimaguchi und von dort die Fähre nach Miyajima.

Ich bin mit dem Boot vom Peace Memorial Park gefahren. Das kostet 4.000 YEN (~25,30 EUR) hin und zurück.

Auf der Insel gibt es eine Rehpopulation. Das scheint in Japan nicht so selten zu sein, aber dazu später mehr, wenn ich in Nara bin. Hier gibt es sie also auch und das ist eine der Attraktionen für die Touristen. Vor allem die Japaner selbst scheinen es zu lieben.

Auf jeden Fall sind sie süß und lassen dich auch in Ruhe, wenn du kein Futter hast. Allerdings stecken sie ihre Nase auf der Suche nach Futter gerne in deine Taschen und knabbern auch schon mal an der Handschlaufe von Regenschirmen oder Fotoapparaten. Ist mir auch passiert. Lustig!

Auf dem Weg von der Anlegestelle zum Itsukushima-Schrein selbst gibt es natürlich zahlreiche Souvenirläden und Essensmöglichkeiten.

Das stört hier kaum, denn bei einem Tagesausflug hat man genug Zeit, um zu bummeln oder gemütlich zu essen.

Ich fand es schön hier, und wenn man in Hiroshima ist, sollte man unbedingt mal vorbeikommen. Bei Ebbe war ich nun da, nächstes Mal komme ich zur Flut.

Ein Kindheitstrauma

Ich hatte eine schöne Zeit hier in Hiroshima, auch wenn ich oft sehr nachdenklich meine Runden im Peace Memorial Park drehte. Irgendwie hatte ich auch das Gefühl, nun wirklich in Japan angekommen zu sein. Ich kann nicht genau sagen, was dieses Gefühl ausgelöst hat, aber es kehrte eine gewisse innere Ruhe ein.

Vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass der Wunsch, nach Hiroshima zu reisen, sehr groß war. Ich habe lange darüber nachgedacht, woher dieser innere Drang kam, und es gibt zwei Schlüsselszenen in meiner Kindheit, die dafür sicher nicht unerheblich waren.

Da war zum einen der geschmacklose Scherz Ronald Reagans 1984 (bei einem Sound Check für eine Rede), die USA werde die Sowjetunion angreifen. Seine Worte waren: My fellow Americans, I’m pleased to tell you today that I’ve signed legislation that will outlaw Russia forever. We begin bombing in five minutes. Das waren seine Worte.

Ich bin in der DDR aufgewachsen und war damals 10 Jahre alt. Die DDR-Führung hat daraus eine Propagandashow gemacht. In unserer Schule gab es dafür extra einen Appell. Wer das nicht kennt, bei einem Appell stellen sich alle Schüler wie beim Militär auf dem Schulhof auf und ein Sprecher (Agitator) erzählt allen eine „Geschichte“.

Bei uns war die „Geschichte“ dann dieser „Scherz“, aber keineswegs scherzhaft, sondern voller Ernst. Allen wurde erzählt, dass ein Angriff des „Imperialismus“ und des „Klassenfeindes“ bevorstünde und dass Atombomben eingesetzt werden könnten bzw. würden. An dieses Detail (ob der Wortlaut „kann“ oder „wird“ war) erinnere ich mich nicht mehr, aber es machte eigentlich auch keinen Unterschied. Ich hatte einfach Angst!

Nach dem Appell gab es zusätzliche Unterrichtsstunden zu diesem Thema. Immer wieder wurde daran erinnert, was passieren könnte und ständig fiel das Wort Atombombe.

Im Nachhinein betrachtet war das einfach purer Psychoterror und heute wohl einer der Gründe, warum ich so wenig von dieser ostdeutschen Verklärung (nach dem Motto: Es war ja nicht alles schlecht damals) vieler älterer Menschen halte.

Aber warum wirkte das so krass auf mich?

Dazu trug sicher auch Ereignis 2 bei, das zeitlich (ich weiß leider nicht mehr, wie lange vorher) vor diesem Psychoterror lag. Und zwar war ich, wie so oft in meiner Kindheit, bei meinen Großeltern in Dessau.

Eines Abends lag ich im Bett, konnte aber nicht einschlafen. Ich schlich mich zur Wohnzimmertür und konnte durch den Spalt den Fernseher beobachten. Das habe ich als Kind öfters gemacht.

Meine Großeltern haben meistens einen Krimi oder einen Western geschaut. Bei den Krimis bin ich immer gleich wieder gegangen, bei den Western blieb ich oft sehr lange auf und schaute zu, bis mir die Augen zufielen.

Aber an diesem Tag lief eine Reportage und es ging um Atombomben. Ich weiß nicht, wie lange und warum ich überhaupt zugeschaut habe, aber dann kamen plötzlich Bilder von einem Atombombentest und wie eine Stadt nach einem solchen Atombombenabwurf aussieht. In meiner Erinnerung ist das sehr detailliert. Die Druckwelle, die Feuerwand und wie Häuser und Fahrzeuge zerfetzt wurden und wie Menschen einfach verdampft sind.

Ich würde sogar wetten, dass dort Bilder aus Hiroshima gezeigt wurden, die unmittelbar nach dem Atombombenabwurf aufgenommen wurden und die man heute so ähnlich auch hier im Friedensmuseum sehen kann.

Ich war schockiert und weiß noch, dass ich weinend ins Bett gegangen bin. Meine Oma bemerkte das und kam, um nach mir zu sehen. An ihre genaue Reaktion erinnere ich mich leider nicht mehr.

Es war auf jeden Fall ein sehr einschneidendes Erlebnis. Ich glaube, danach habe ich nie wieder heimlich ferngesehen, wenn ich nicht schlafen konnte.

Aber diese Bilder im Gedächtnis und dann diese Propaganda in der Schule, diese Kombination machte mir als Kind wahnsinnige Angst, und es dauerte mehrere Monate, bis ich wieder ein normales Gefühl dafür bekam.

Auch wenn ich oben von einem Kindheitstrauma geschrieben habe, und obwohl es für mich damals schlimm war, glaube ich nicht, dass ich dadurch wirklich traumatisiert wurde (gibt es so etwas zeitlich begrenzt?) oder dass ich bis heute in irgendeiner Form traumatisiert bin. Abgesehen von diesen Erinnerungen hat es mich in den letzten Jahrzehnten nicht mehr wirklich beschäftigt.

Trotzdem fühlt es sich jetzt so an, als wäre ein Kapitel in meinem Leben abgeschlossen. Wie wenn man ein Buch endlich zuklappen kann, nachdem man es fertig gelesen hat. So fühle ich mich gerade.

Danke Hiroshima, dass ich hier sein durfte, um das zu erleben!

Weiter geht es

Aber nun geht es für mich weiter. Wobei weiter fast nicht das richtige Wort ist. Eigentlich geht es jetzt zurück nach Tokyo, aber nicht ohne vorher noch einen längeren Zwischenstopp in Osaka einzulegen.

Also auf nach Osaka. Ich gehe davon aus, dass mich dort wieder etwas mehr Trubel erwartet, als im eher beschaulichen Hiroshima.

CU Ingo.


2 Kommentare zu „Weltreise Step #116: In Hiroshima, Japan“

  1. Hi Ingo,
    Deine Beschreibung zeigt eindeutig auf, dass Du ein Trauma hattest. Weiterhin kann man aber auch herauslesen, dass Du das Trauma abgearbeitet hast und es jetzt für Dich kein Trauma mehr ist. Und das ist auch gut so.

    Hiroshima hätte mir auch gefallen. Überhaupt Japan. Ein weiteres Reiseziel, wo ich auf jeden Fall hin muss.
    Danke für die tollen Bilder! Kyoto war ja der Knaller! Der Bambus-Park, da muss ich hin.

    Viel Spass Dir in Süd-Korea,
    LG Alf

    P.S. ich habe in Sachen Pentax jeden Tag die Draumen gedrückt

    1. Hi Alf!

      Danke fürs Vorbeischauen.

      Es fällt mir schwer, das als Trauma zu sehen, weil es mich „nur“ vielleicht ein halbes Jahr wirklich beschäftigt hat. Das war zwar sehr intensiv, aber ich glaube, für ein Trauma fehlt die Langfristigkeit. So nach dem Motto, man wacht auch Jahre später noch schweißgebadet auf, weil man wieder diese Ängste & Träume hat.

      Was auch immer. Auf jeden Fall ist es vorbei und fühlt sich jetzt genau richtig an.

      Japan war toll und Hiroshima hat mir mit am besten gefallen. Für das nächste Mal habe ich mir jetzt Nagasaki auf die Liste geschrieben. 😉

      Grüße aus Busan.

      CU Ingo.

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