:: 18.07.2022 – Von Podgorica nach Tirana ::
Nach 2 Tagen in Podgorica und insgesamt 2 Wochen in Montenegro, heißt es nun mal wieder Rucksack auf und weiter. Es geht nach Tirana und damit nach Albanien. Albanien ist ein komplett neues Land für mich. Ich freue mich schon darauf!
Ich nehme zum Bahnhof eine Abkürzung direkt an den Schienen entlang über die Eisenbahnbrücke. Das machen hier alle so. Gefällt mir. Meine deutschen Gene fühlen sich fast schon etwas rebellisch dabei an.
Vielleicht sind sie aber auch nur verwirrt, weil ich Eule schon vor 9 Uhr unterwegs bin.
Am Bahnhof ist auch direkt davor der Busbahnhof, denn ich nehme den Bus. Es gibt zwar von hier aus eine Bahnstrecke nach Tirana, aber diese wird aktuell nur von Güterzügen genutzt. Ab 2025 soll es wieder eine regelmäßige Verbindung auch für den Personenverkehr geben. Zu spät für mich.
Das Ticket für den Bus hatte ich mir bereits an Tag 1 in Podgorica gekauft, weil mir Miro gesagt hat, dass die Busse nach Tirana nicht selten ausverkauft sind. Er meinte sogar, sie verkaufen oft mehr Tickets, als sie Sitze haben.
Und genau so kam es dann auch.
Zur avisierten Abfahrtszeit sammelte sich bereits eine große Menge an potentiellen Fahrgästen an Steig 6. Da soll der Bus planmäßig losfahren.
Aber planmäßig läuft es hier nicht, der Bus kommt mit 20 Minuten Verspätung irgendwann an und ist bereits voll.
Wie bitte? Hier stehen genug Leute an, um einen ganzen Bus zu füllen und der kommt schon voll an? Wie soll das denn bitte gehen? Ehrlich? Ich dachte hier fährt ein neuer leerer Bus vor.
In dem gerade angekommenen Bus sind genau 6 Sitzplätze frei. Draußen warten mindestens 35-40 Leute.
Ich hatte mich mit Miros Worten im Ohr „die verkaufen oft mehr Tickets, als es Sitze gibt“ vorsorglich direkt dort platziert, wo der Busfahrer aussteigen und mit dem Gepäck hantieren wird. So bin ich direkt einer der Ersten, die zum Zuge kommen werden.
Ein Vorteil, wenn man voll im Reisemodus ist und Erfahrung hat. Man weiß, wo man sich platzieren muss, um richtig zu stehen. Ich feiere mich innerlich ein wenig dafür.
Es gibt Aufregung, weil den Leuten klar wird, dass passt nicht so ganz. Es beginnt ein erstes Gezerre und Gedränge.
Ich stehe wie ein Fels an meinem Platz. Meinen Rucksack vor mir auf dem Boden. Der ist zum Glück so schwer, dass den keiner so leicht beiseite schiebt. Um mich herum bewegen sich die Menschen mal nach rechts, mal nach links, kommen aber nicht vorwärts. Wohin auch.
Der Busfahrer telefoniert aufgeregt und schreit dann irgendwann in die Menge, dass ein anderer Bus kommen wird. Wann das sein wird, sagt er nicht. Die Leute schauen sich fragend an.
Dann schaut der Busfahrer in die Runde vor sich und vergibt seine restlichen 6 Plätze. Ich überlege kurz, auf den anderen Bus zu warten, denn ich mag keine zu 100% belegten Busse. Aber da ich nicht weiß, wann der andere Bus kommt und ob es da besser wird, signalisiere ich ihm, dass ich einen der 6 Sitze möchte.
Ich bekomme ihn. Leider bin ich aber auch der Letzte der 6, die einsteigen werden. Ich bekomme also den Sitz, der ganz zum Schluss übrig bleibt. Argh!
Und erst nachdem wir unsere Tickets abgegeben plus das Gepäck verstaut haben und eingestiegen sind, bemerken wir, dass es scheinbar sogar nur 5 statt 6 Sitzen gibt.
Wir versuchen mit dem Busfahrer zu kommunizieren, dass hier etwas nicht passt. Aber der scheint wieder einer dieser mürrischen Artgenossen zu sein. Wahrscheinlich gehört das zum Busfahrerleben dazu, dass man mürrisch unterwegs ist.
Er spricht immer wieder die gleichen Worte in seiner Sprache, die keiner von uns versteht, und zeigt auf eine herrische Art und Weise an, dass wir uns hinsetzen sollen. Aber wie, wenn für 6 Personen nur 5 Sitze da sind?
Es ist keine vernünftige Kommunikation möglich.
Ich überlege wieder auszusteigen und den anderen Bus abzuwarten. Aber wie bekomme ich mein Ticket zurück. Kommunikation ist ja jetzt nicht die Stärke dieses mürrischen Typs.
4 der Zugestiegenen sind eine Familie mit 2 Kindern. Diese entscheiden dann, dass der Papa das kleinste Kind auf den Schoß nimmt. Sie belegen die letzte leere 2er Reihe und er setzt sich mit den beiden Kindern hin. Ein anderer Gast wird sich später vorne neben den Busfahrer auf eine Art Klappsitz setzen.
Bleiben die Frau der Familie und ich übrig. Es sind noch 2 Sitze in der letzten Reihe frei. Der Sitz in der Mitte und dann liegt eine schlafende Person in der linken Ecke auf 2 Sitzen.
Die Frau setzt sich in die Mitte. Den Platz hätte ich auch gewählt. Beinfreiheit und so. Sie ist ungefähr so groß wie ich, deswegen nehme ich ihr die Entscheidung auch nicht übel.
Ich tippe die schlafende Frau an. 1 mal. 2 mal. 3 mal. Endlich bewegt sie sich.
Es folgt eine fast 2-3 minütige Diskussion darüber, warum sie Platz machen soll und ob ich nicht woanders weiter vorne noch einen Platz finde. Ich bin kurz vorm unfreundlich werden, als sie endlich Platz macht. Man man man. Leute gibt es.
In Tirana wird genau diese Person dann die Haltestelle am Flughafen verpassen und 5 Minuten später den Busfahrer anbetteln, dass er sie noch schnell am Straßenrand rauslässt. An der Stelle wünschte ich mir, dass der Busfahrer alles mürrische rauslässt, was in ihm steckt und einfach weiterfährt. Aber nein, genau da entdeckt er seine freundliche Seite und lässt sie aussteigen. Man hätte ich gefeiert, wenn er es nicht gemacht hätte.
Bin ich deswegen ein böser Mensch? Nein, sicher nicht … oder doch? Ne ne…
Zurück zum Thema.
Ich setze mich hin und bemerke sofort, dass das nichts wird. Die letzte Reihe hat die geringste Beinfreiheit aller Sitzreihen im gesamten Bus. Selbst in der aufrechtesten Haltung wie möglich, stoßen meine Knien unangenehm an den Vordersitz. Und es ist weder rechts noch links Platz, um sich etwas seitlich versetzt hinzusetzen.
Ich überlege kurz, ob es gesetzliche Vorschriften für die Beinfreiheit in Bussen in Montenegro gibt und wo ich mich da bzgl. einer Beschwerde hinwenden müsste. Bei dem Gedanken muss ich kurz lachen. Ich glaube die Leute um mich herum bekommen langsam Angst und denken, ich bin verrückt. Warum lacht der?
Ich reiße mich zusammen und denke mir nur noch, dass der EU Regulierungswahnsinn manchmal doch nicht gaaanz so schlecht ist, wie immer alle sagen. Ja krumme Gurken verbieten ist doof, aber hier hätte es was gebracht.
Das halte ich nie im Leben die 3-4 Stunden Fahrt aus. Ich sitze 5 Minuten da und sondiere meine Optionen. Es ist bereits jetzt, wo der Bus noch steht, total unbequem.
Da sich die Abfahrt des Busses weiter verzögert, stehe ich wieder auf und stelle mich in den Ausstieg der hinteren Tür. Meine Sachen lasse ich aber auf dem Sitz liegen, damit die komische Person in der Ecke nicht wieder auf die Idee kommt, sich hinzulegen.
Dann fährt der Bus irgendwann los. Ich entscheide einfach spontan, mich auf die Stufen des Ausstieges zu setzen. Mhhh. Das geht. Auf jeden Fall besser als der Sitz.
Da ich weiß, dass die Grenze nur 20-30 Minuten entfernt ist und direkt nach der Grenze ein größerer Ort kommt, an dem wohl wenigsten ein paar Leute aussteigen werden, bin ich zufrieden mit der Situation. Ich werde bald einen Sitzplatz bekommen und für die paar Minuten geht das hier ganz gut.
Ich bin stolz auf mich, weil meine Laune, mit Ausnahme der kurzen sinnlosen Diskussion mit der schläfrigen Frau bzgl. des letzten freien Sitzplatzes neben ihr, die gesamte Zeit nicht unter der Situation gelitten hat. Ich bin also offensichtlich voll drin im Travel Mood, wo Dinge einfach passieren und man sie akzeptieren muss, wie sie sind. Alles andere Macht keinen Sinn oder man versaut sich die ganze Erfahrung.
Mit einem Podcast auf den Ohren vergeht die Zeit bis zur Grenze wie im Fluge.
Dann heißt es wieder alle aussteigen. Ausstempeln. 100 Meter weiterfahren. Wieder alle Aussteigen. Einstempeln.
Oh je was ist das? Warum habe ich keinen Einreisestempel in meinen Pass bekommen? Dabei mag ich es doch so, die im Pass zu haben. Schnief. Das ist doof!
Weitere 20-30 Minuten später nach der Grenze halten wir in Shkodra. Und wie erwartet steigen hier Leute aus. Fast der halbe Bus. Okay, sehr gut. Ich schnappe mir eine leere 2er Reihe. Ab jetzt ist alles wieder easy peasy.
Den Rest der Fahrt geniesse ich am Fenster. Man merkt schon bei der Fahrt, dass wir hier in einem anderen Land sind. Alles etwas wilder, dreckiger und einfach anders. Es lässt sich schlecht beschreiben.
Der Bus macht Halt an einer Tankstelle mit angeschlossenen Restaurant. Ich kaufe mir eine eiskalte Coca-Cola Zero, bezahle mit EUR und bekomme meine ersten LEK (Albanische Lekë, 1 EUR = 116,50 LEK bzw. 100 LEK = 0,85 EUR) als Wechselgeld zurück. Ach ja. Da war ja was. Es gibt hier anderes Geld. Interessant.
Den Rest der Fahrt muss dann ein Amerikaner, der bis jetzt geschlafen hat, warum auch immer den Bus mit seinen Verschwörungstheorien und Anti-Corona-Parolen unterhalten. Den beiden Niederländerinnen, mit denen er das Gespräch begonnen hatte, ist es sichtbar unangenehm, aber sie haben auch nicht den Arsch in der Hose zu sagen, dass er die Klappe halten soll.
Ich setze irgendwann meine Noise-Cancelling-Kopfhörer auf und hab meine Ruhe. Die Dinger sind so geil. Vielleicht sollte ich sie nie wieder absetzen?
In Tirana angekommen suche ich mir meinen Weg zum Hostel. Unterwegs esse ich ein Eis und wenn der Preis einer Kugel Eis ein Indikator für das Preisniveau in Albanien ist, dann wird es hier schön günstig. Umgerechnet 0,70 EUR für eine Kugel. Da nehm ich doch 2, oder? Bisher hat Eis eigentlich immer mindestens doppelt so viel gekostet.
Auch noch unterwegs entdecke ich den ersten Coffee Shop. Ich hatte schon davon gehört, dass es speziell in Tirana viele solcher Coffee Shops geben soll. Dieser hier, der Name ist „Mulliri“, ist eine 1:1 Kopie von Starbucks und eine Kette mit vielen Shops verteilt über die Stadt.
Soll mir recht sein. So etwas brauche ich zum Schreiben am Laptop. Schön im klimatisierten Coffee Shop chillen, wenn draußen 38 Grad sind. Passt!
Also probiere ich den Laden gleich aus und ich bin positiv überrascht. Der Kaffee schmeckt sehr gut und kostet gerade einmal 1 EUR. Das nenn ich mal günstig. Mir gefällt Tirana jetzt schon sehr gut.
Wie sich später herausstellen wird, der Kaffee schmeckt in fast allen Cafés gut, aber hier im „Mulliri“ gibt es den besten Café Americano in ganz Tirana. Zumindest wenn es nach meinem Geschmack geht.
Nach einer kurzen Pause geht es weiter zum Hostel, welches ich nach ein wenig suchen auch finde. Ich checke ein und bemerke erfreut, dass das Hostel scheinbar relativ neu ist. Neue Betten, neue Matratzen, neue Kissen. Geil!
Tatsächlich ist das Hostel so neu, dass an einigen Ecken noch nicht alles fertig ist. So fehlt z.b. noch die Klimanlage (sie war aber fairerweise auch nicht bei Booking.com aufgelistet, ich hatte also nicht mit einer gerechnet), das Kabel dafür ragt aber schon aus der Wand, im Bad gibt es noch keine Spiegel und die Türen der Toiletten … naja Schwamm drüber. Ich fand’s toll.
Und das Beste, es kostet nur 60 EUR für 7 Nächte, was gerade einmal 8,60 EUR pro Nacht ist und da ist sogar (ein sehr einfaches) Frühstück mit dabei. Wow!
Ich gebe mir gedanklich wieder mal ein Spar-High-Five, setze meinen Rucksack ab und sinke zufrieden aufs Bett.
Liebe neue Matraze, liebes neues Kissen und natürlich du auch liebes Tirana, die nächsten 7 Tage gehört ihr mir.
CU Ingo.