:: 12.07.2022 bis 14.07.2022 – Zabljak, Montenegro ::
Da bin ich nun also in den Bergen Montenegros und damit schonmal zumindest in der Nähe der Tara-Schlucht (Tara Canyon). Davon hatte ich eher durch Zufall mitbekommen und nicht schlecht gestaunt, dass hier die zweittiefste Schlucht (bis zu 1.300 Meter) der Erde sein soll.
Ich weiß nicht genau die Definition, nach der das bemessen wird, aber der Grand Canyon ist der längste (450 Kilometer) und tiefste (bis zu 1.800 Meter) Canyon der Welt und dann kommt offensichtlich schon dieser Ort hier. Ich bin auf jeden Fall gespannt, mir das mal näher anzuschauen.
Man soll hier auch Rafting machen können. Darauf hätte ich ja Bock!
Außerdem liegt hier der Durmitor Nationalpark (die Tara-Schlucht ist ein Teil davon), in dem man sehr schön wandern kann. Nicht das ich einen Plan hätte, aber vielleicht findet sich für mich ja eine passende Wanderung.
Das Örtchen Zabljak ist sehr klein. Bereits am Abend des Tages meiner Ankunft hatte ich mir alles angeschaut. Neben vielen Restaurants, Bistros, Kioske und dem ein oder anderen Supermarkt, gibt es natürlich auch viele Hotels und andere Arten von Unterkünften hier.
Es ist auf jeden Fall ein touristischer Ort. Halt ein typischer Ausgangspunkt für all die Aktivitäten hier in der Gegend.
Aber ich kann erfreut festhalten, dass der Ort auch so etwas wie Urlaubsfeeling versprüht. Vielleicht ist es, weil Touristen in den Städten einen ganz anderen Vibe mitbringen, als die Touristen, die in den Bergen wandern gehen wollen. Außerdem gibt es viele einheimische Urlauber, dass hilft an der Stelle natürlich auch nochmal.
Den ersten Tag verbringe ich damit, mir ein schönes Café zu suchen, wo man etwas arbeiten kann. Finde ich auch. Es gibt genau ein einziges solches Café, was meinen Anforderungen genügt. Die Bedienung ist super freundlich, was in Montenegro leider nicht immer der Fall ist, spricht Englisch und der Kaffee schmeckt. Passt also für mich.
Außerdem steht mir dieser Tag zur Verfügung, um die Aktivitäten von Tag 2 und 3 zu planen. Wenn ich in die Tara-Schlucht zum Rafting und eine Wanderung machen möchte, dann muss ich das planen. Ich kenne mich, sonst wird das nichts.
Also vergleiche ich die Preise vor Ort. Es gibt unzählige Anbieter und viele Werbetafeln. An einem dieser Orte lese ich eine der Werbetafeln und fühle mich unbeobachtet, weil in der dazugehörigen Hütte scheinbar niemand ist.
Ich höre jemanden rufen. Ich schaue mich um, sehe aber niemanden. Ich lese weiter.
Es ruft wieder jemand. Ich schaue mich erneut um und sehe wieder niemanden. Okay, außer dem Großmütterchen dort drüben auf dem Balkon. Aber die wird mich ja nicht gerufen haben, oder? Ich lese weiter.
Es ruft wieder jemand. Ich schau mich erneut um. Immer noch nur das Großmütterchen in Sichtweite. Das Großmütterchen winkt.
Oh je, also hat doch sie gerufen? Sie winkt mich heran und ich gehe hin. Sie spricht mich in ihrer Sprache an und ich frage auf Englisch zurück, ob jemand in der Hütte ist, ich hätte evtl. ein paar Frage zum Rafting.
Das Großmütterchen sagt dann seeehr langsam, aber deutlich auf Englisch, dass sie mir alles erklären kann. Ich bin verwirrt. Okay. Das hatte ich nicht kommen sehen.
Ich stelle meine Fragen. Langsam und deutlich. Und sie antwortet seeehr langsam, aber wie gesagt auch deutlich verständlich in Englisch. Ich bin begeistert.
Ich mache bei ihr eine halbtägige Raftingtour für 55 EUR (inkl. Mittagessen und Transport) klar, auch deswegen, weil ich nichts anzahlen und nichts unterschreiben muss. Sollte etwas dazwischen kommen, dann kann ich einfach abspringen.
Gut, Rafting wäre also geklärt.
Am Nachmittag nutze ich die Zeit im Café dann, um mir eine Wanderung auszusuchen. Ich erfahre, dass es hier im Nationalpark den höchsten Berg Montenegros gibt, den Bobotov Kuk mit 2.522 Metern.
Kategorie „schwer“. Der letzte Kilometer ist als „alpine“ gekennzeichnet, aber ohne extra Ausrüstung begehbar. Scheinbar gibt es dort Ketten an einer Seite zum Festhalten und auf der anderen Seite des 1 Meter breiten Pfades geht es 200-300 Meter in die Tiefe.
Klingt geil. Da bin ich dabei.
Ich überlege nur, ob Kategorie „schwer“ nicht vielleicht etwas zu hart für den Einstieg ist. Wann war ich das letzte Mal richtig wandern? Ich kann mich nicht erinnern. Aber ich laufe ja jeden Tag meine 10.000 Schritte. Das wird schon. Ich mache die Wanderung gedanklich fest und verschiebe die Detailplanung auf den nächsten Tag nach dem Rafting.
Den Tag passiert nicht mehr viel, außer am Laptop arbeiten und chillen.
Am zweiten Tag bin ich früh um 9:30 Uhr pünktlich an der Hütte mit dem Großmütterchen. Die ist aber nicht zu sehen, dafür eine junge Frau, die mich bittet zu warten.
Während des Wartens komme ich mit einem Pärchen aus den Niederlanden ins Gespräch. Wir machen uns über das typische Klischee lustig, dass Holländer (was man ja eigentlich nicht sagt, weil das wäre wie alle Deutschen als Bayern zu bezeichnen, Holland ist auch nur eine Provinz in den Niederlanden) immer mit dem Wohnwagen in den Urlaub fahren.
Sie sind ohne Wohnwagen hier. Sie sind keine typischen Niederländer.
Es gesellt sich eine Österreicherin dazu. Wir erfahren schnell, dass sie mit dem Wohnwagen hier ist. Die Situation ist irgendwie komisch und wir blödeln über Wohnwagen und anderes klischeebehaftetes Zeugs.
Sie ist keine typische Österreicherin.
Dann geht es los. Mit dem Kleinbus die ca. 20 Kilometer zur Tara-Schlucht. Es geht ordentlich die Serpentinen hoch und runter. Es bieten sich bereits auf der Fahrt tolle Aussichten. Diese werden dann natürlich getoppt, als wir an der Tara-Brücke ankommen und die Schlucht sehen. Toll!
Dann heißt es umziehen. Rein in die Wetsuits (oh ja es gibt so einige Presswürste, ich sehe aber ganz passabel aus), Schwimmweste an und Helm auf. Der Kleinbus bringt uns dann weiter zur eigentlichen Ablegestelle.
Beim Umziehen hatte ich schon bemerkt, dass doch ein guter Teil Kinder dabei sind. Jetzt beim Einsteigen in die Boote wird mir klar, dass wird kein Rafting, wie ich es mir vorgestellt habe. Abenteuer und so. Ne ne, dass wird ganz ruhig und sanft. Familientauglich. Oh je.
Es geht los.
Wir gleiten gemächlich auf der Tara und deren kristallklares Wasser dahin. Die Natur hier ist wunderschön. Na gut, dann versuche ich mal meine Enttäuschung hinunterzuschlucken und die Fahrt zu geniessen. Immerhin sitze ich ganz vorn und habe freien Blick auf alles. Das entschädigt etwas.
Der Führer des Bootes gibt uns eine kleine Einweisung. Wir üben. Paddeln rechts! Paddeln links! Paddeln alle! Stopp! Das reicht. Mehr muss es nicht sein.
Und ehrlich? Selbst das hätte nicht sein müssen, der Bootsführer wäre auch komplett ohne unsere Hilfe klargekommen, so ruhig ist der Fluss und die paar kleineren Stromschnellen sind nicht der Rede wert.
Aber den Kindern gefällt es, wenn es mal rüttelt am Boot. Es wird also wirklich eine Art Kaffeefahrt für Familien. Ich erfahre später, dass Ende April, Anfang Mai mehr los sein soll, wenn die Schneeschmelze den Fluss merklich anschwellen lässt.
Ich mache mir gedanklich eine Notiz, hier evtl. nochmal im Frühjahr irgendwann zurückzukommen.
So vergehen aber immerhin 2-3 Stunden auf dem Fluss mit wunderschönen Ausblicken. Leider habe ich, weil die Anweisungen des Personals missverständlich waren, keine Kamera dabei und kann die Erinnerungen nicht in Fotos festhalten. Auf der anderen Seite denke ich mir, dass das auch ganz gut so ist, denn so kann ich den Augenblick richtig geniessen.
Ich bewundere gedanklich kurz die ganzen Reiseblogger & Vlogger, die ständig alles in Videos festhalten. Ein Vollzeitjob und es muss doch ordentlich vom Geniessen des Augenblicks ablenken. Ich fühle mich in dem Gedanken bestätigt, keinen Versuch in diese Richtung zu starten. Ich bin ganz zufrieden mit meinen Fotos und ab und zu mal der Drohne fliegen. Das muss reichen.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Der Bootsführer fragt, ob jemand von der Klippe da vorne springen möchte. Niemand antwortet. Ich schau mir die Klippe an und das sind grad mal 3 Meter. Warum will keiner springen?
Ich ergreife natürlich die Gelegenheit, um doch noch nass zu werden.
Wir halten und ich steige aus. Vor mir springen ein paar Leute aus anderen Booten in voller Montur. Es sieht unbequem aus, in der Schwimmweste zu springen. Ich lege meine Schwimmweste und den Helm ab.
Dann bin ich an der Reihe und denke mir, die 3 (vielleicht 4 Meter) sehen echt lächerlich aus. Ich springe. Uiiiii. Platsch. War doch ganz schön hoch.
Und der Fluss ist echt kalt! Die 12 Grad fühlen sich im ersten Moment sehr kalt an, aber sind dann am Ende ganz gut aushaltbar, auch dank dem Wetsuit.
Ich muss mich ganz schön anstrengen, um gegen die Strömung wieder an der Stelle an Land gehen zu können, von der ich die Klippe raufgeklettert bin. Hätte ich echt nicht gedacht, dass die scheinbar so schwache Strömung doch so stark ist. Oder bin ich nur außer Form? Ich bin nun richtig neugierig, wie das hier zur Schneeschmelze ist.
Nass, aber glücklich, setze ich mich wieder ins Boot und wir fahren weiter. Der Franzose mir gegenüber erklärt im gebrochenen Englisch, dass er auch gesprungen wäre, aber er hat kein langärmliges Oberteil (ich hab so einen langärmligen Rashguard unter dem kurzärmligen Wetsuit, wegen dem UV Schutz) an. Es wäre wohl zu kalt ohne.
Ich lächele verständnisvoll zurück und denke mir nur, was für ein Angsthase. 3 Meter. Pffff. Vielleicht 4.
Irgendwann geht die Kaffeefahrt das Rafting dann auch zu Ende und wir steigen aus. Umziehen ist angesagt. Der Kleinbus hat unsere Sachen hierher gebracht.
Kleine Randnotiz dazu, ich fand es etwas befremdlich und unsicher, meine Sachen inkl. Portemonnaie und alles im Bus zu lassen, wo doch recht viele Leute ran könnten, wenn sie es denn wollten. Uns wurde zwar zugesichert, dass aufgepasst wird, aber ich bin sicher, ich habe mehrere Gelegenheiten beobachtet, wo man hätte etwas klauen können.
Es ist zwar nichts passiert, aber es gab mir kein gutes Gefühlt. Das fand ich nicht gut!
Dann geht es mit dem Kleinbus zurück zur Ausgangsstelle, wo es Mittagessen gibt. Ich komme mit 2 Deutschen ins Gespräch, die hier einen Kurzurlaub verbringen. Eine der beiden ist sehr interessiert an meinen Plänen und wir können uns gut austauschen, da sie ebenfalls schon viel gereist ist. Das ist sehr unterhaltsam und motivierend.
Mein vegetarisches Menü (immerhin gibt es das Angebot) besteht aus einem Teller Mischgemüse. So als wenn jemand eine Packung Mischgemüse aus der Tiefkühltruhe beim Aldi warm gemacht und auf den Teller ausgebreitet hätte. Skurril, aber okay. Es ist Gemüse. Immerhin.
Meine beiden deutschen Gesprächs- und Tischpartner haben das typische Grillfleischteller-Menü gewählt. Wir lästern etwas über die einseitige Kost in den Balkanländern und stimmen überein, dass man weniger Fleisch essen sollte.
Beide essen ihren Grillfleischteller komplett auf und beschweren sich danach, dass es viel zu viel war. Mhhh…
Dann gibt es aber doch noch ein Highlight. Ich nutze die Gelegenheit mit ein paar Anderen, die Zipline über die Tara-Schlucht zu fahren. Sagt man fahren? Oder zippen? Oder zu ziplinen? Oh je.
Es ist auf jeden Fall geil! 1.050 Meter lang, 150 Meter hoch (über der Tara) und dauert fast 60 Sekunden. Kosten 15 EUR. Das war toll!
Irgendwann geht es dann aber wieder zurück nach Zabljak und ich kann noch ein letztes Mal die Aussichten auf die Tara-Schlucht geniessen. Schön ist es hier, auch wenn das Rafting nicht so war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Zipline hat dafür etwas versöhnt.
Den Nachmittag des Tages verbringe ich wieder in dem Café von gestern und ich bereite die Wanderung für morgen vor. Die App Komot installieren, örtliche Karte herunterladen, Wanderung planen und für offline Nutzung speichern. So habe ich zumindest eine mögliche GPS Karte inkl. Routenplanung dabei, falls die Wanderwege nicht gut genug gekennzeichnet sind.
Um dem vorzugreifen, die Wege waren ausreichend gekennzeichnet, aber trotzdem half mir die App bei der Orientierung und gab mir einfach ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle in diesem unbekannten Gelände.
Im Café möchte ich dann noch ein paar Einheimische befragen bzgl. der Wanderung. Ich muss aber erstaunt feststellen, dass kaum einer der Einheimischen diese Wanderung bisher gemacht hat. Ist das nicht verrückt? Du lebst hier im Nationalpark in der Nähe des höchsten Berges Montenegros und du warst noch nie dort? Verstehe das einer.
Aber ich erfahre, dass ein Bergführer am späteren Nachmittag hier im Café auftauchen wird. Den kann ich fragen. Wow! Das passt ja. Ich warte also geduldig und unterhalte mich später mit ihm.
Er meint, es wäre schon sehr anstrengend, aber machbar für jemanden, der fit ist. Ich fühle mich fit. Er meint, ich solle es probieren. Dann gibt er mir noch eine Notfallrufnummer, nur für alle Fälle. Er sagt, es sterben so 2-3 Leute pro Jahr hier in den Bergen.
Oookay. Ist das jetzt gut oder schlecht, dass er mir das sagt? Egal, er meint ich schaff das.
Ich gehe an dem Tag zeitig schlafen, denn ich möchte die Wanderung möglichst vor 6 Uhr beginnen. Ich rechne mit 6 Stunden (inkl. Pausen) hin und zurück muss ich ja auch noch.
Am dritten Tag stehe ich also bereits 5 Uhr auf, esse eine große Portion Müsli, denn ich möchte kein Essen extra mitschleppen, und packe Drohne und Kamera ein. Natürlich auch Wasser. 2 Liter. Ich kann ja auffüllen unterwegs. Wird doch Bäche oder andere Quellen geben, oder?
Vor 6 Uhr komme ich los. Zabljak liegt verschlafen vor mir und die aufgehende Sonne taucht alles in ein rötliches Licht. Ich sehe viel zu selten den Sonnenaufgang. Das ist leider das Schicksal einer Eule.
Die erste Station auf der Wanderung ist der sogenannte Black Lake (Crno jezero). Niemand ist hier. Okay, 1-2 Wanderer wie mich gibt es schon, aber die bemerkt man kaum.
Ich geniesse die Stille und das Panorama. Mit der Drohne würde es vielleicht tolle Bilder geben, oder?
Ich entscheide mich, die Drohne fliegen zu lassen. Ich hatte vorher geschaut und es gab keine Schilder, dass man nicht fliegen darf und auch die App sagt „Recommended Zone“. Also alles grün. Ich fliege los.
Ich fliege eine ganze Weile und mache meine Aufnahmen. Toll und es macht Spaß!
Es kommt ein Mann in Uniform und schaut sich um. Ich grüße und bekomme sofort ein ungutes Gefühl. Uniform = Nicht gut. Er kommt auf mich zu und sagt, ich solle die Drohne zurückholen, ich dürfe hier nicht fliegen. Nationalpark und so.
Ich überlege kurz, ob ich ihm sagen soll, dass ich mich vorher informiert habe und ich würde gern wissen, warum ich seiner Meinung nach hier nicht fliegen darf. Ist das hier überhaupt schon das Gebiet vom Nationalpark?
Und ehrlich, nicht um es besser zu wissen, denn einen solchen Streit gewinnt man als Fremder gegen einen Uniformierten nicht, egal ob man Recht hat oder nicht, eher um zu verstehen, wie ich mich in Zukunft besser informieren kann. Hab ja keine Lust, dass mir irgendwann die Drohne abgenommen wird.
Ich lasse es aber und nicke ihm zu. Er geht weiter und ruft bereits aus ein paar Metern Entfernung noch, dass die Strafe 40 EUR ist.
Ich hole die Drohne zurück und bin erleichtert, nicht direkt am frühen Morgen an ein A***loch geraten zu sein, welches mich abzockt. Passt schon. Die Aufnahmen hab ich ja im Kasten.
Ich wandere weiter und umrunde den See. Kurz bevor ich diesen verlasse, ein Bach. Ich trinke mich voll und fülle meine Flaschen auf.
Ab jetzt geht es 6-7 Kilometer und knapp über 1.000 Höhenmeter ins Gelände. Die ersten Anstiege sind noch gut ausgebaute Wanderwege. Irgendwann habe ich die Wahl zwischen 2 Routen. Beide ungefähr gleichlang. Ich entscheide mich auf dem Hinweg für die rechte Route und werde auf dem Rückweg die andere nehmen.
Ich folge dem schmalen Pfad und es geht immer höher. Teilweise muss ich mich durch kleine Gebüsche und Kiefern (sind das Kiefern) zwängen.
Die Ausblicke sind grandios.
Was nicht so grandios ist, es gibt auf dem gesamten Hinweg keinen Bach oder eine andere Art von Quelle mehr. Das hatte ich nicht erwartet und das ist ein Problem. Der Guide, mit dem ich mich gestern ausgetauscht hatte, hatte auch nichts dazu gesagt. Oh je.
Ich rationiere mein Wasser vorsorglich, aber ich ahne jetzt schon, dass das ein Problem wird.
Nach ca. 4 Stunden quer durchs Gelände des Durmitormassivs bin ich am Fusse des Hanges zum Gipfel. Ein großes Geröllfeld muss ich überwinden, um zum Kamm unterhalb des Gipfels zu kommen. Von dort wären es dann noch ca. 1 Kilometer und 300 Höhenmeter zum höchsten Punkt.
Ich überlege kurz, ob es Sinn macht dort rauf zu kraxeln. Ich bin noch motiviert und entscheide mich, dass Geröllfeld in Angriff zu nehmen.
3 Schritte hoch, 2 zurückgerutscht. So schiebe ich mich langsam hoch Richtung Kamm. Es ist extrem anstrengend und der Teil davor war bereits schon kein Spaziergang.
Ich rutsche aus und stütze mich mit der rechten Hand ab. Autsch. Das tat weh.
Irgendwann schaffe ich es, dass Geröllfeld hinter mir zu lassen. Ich bin auf dem Kamm und treffe seit Ewigkeiten auf andere Wanderer. Auf dem Weg von Zabljak bis hierher, habe ich nur 1 andere Person getroffen gehabt.
Kein Wunder, denn die Strecke von Zabljak ist auch der schwierigste und längste Wanderweg. Die meisten fahren mit dem Auto auf die andere Seite des Durmitormassivs und wandern von einem Parkplatz einen leichteren Weg hier hoch.
Dafür ist der Wanderweg, den ich genommen habe, lt. Internetrecherche der mit den schönsten Ausblicken.
Ich setze mich hin und geniesse die Pause und die auch hier wieder wundervollen Ausblicke.
Ich komme mit einer Wanderin ins Gespräch, die von der anderen Seite gekommen ist und jetzt zum Gipfel aufbricht. Wir überlegen zusammen, ob mit der Zeit und dem Wasser, welches mir verblieben ist, es noch eine gute Idee ist, zum Gipfel zu gehen.
Es ist bereits 12:30 Uhr und der letzte Kilometer inkl. der 300 Höhenmetern ist mit mindestens 1 Stunde Gehzeit angegeben. Wie gesagt, das letzte Teilstück ist als „alpine“ gekennzeichnet und nicht ohne.
Ich fühle mich erschöpft und bin sicher, dass ich meine Grenze erreichen werde. Es ist sicher keine gute Idee, mitten im Hochgebirge und allein im Gelände seine Grenzen auszuloten. Das Risiko ist zu hoch.
Ich entscheide mich schweren Herzens dazu, den Gipfel auszulassen. Dafür bleibe ich noch etwas länger hier sitzen und lasse die Umgebung und Aussicht auf mich wirken. Ich sammle Kraft für den Rückweg.
Ich habe nur noch ca. 0,5 Liter Wasser. Ich hoffe, dass auf der anderen Route zurück, ein Bach zu finden ist. Wenn nicht, wird das ziemlich hart. Dehydration ist echt ein Problem.
Ich mache mich auf und muss als erstes wieder das Geröllfeld runter. Rauf war schon schwer und unangenehm, aber runter ist die Hölle.
Ich muss extrem vorsichtig und langsam laufen, damit ich nicht ins Rutschen komme. Und trotzdem passiert es ab und zu. Es ist gefährlich. Jede Landung auf dem A*** und das Abstützen mit den Händen tut weh. Speziell meine rechte Hand hat etwas abbekommen. Bestimmt verstaucht von dem Ausrutscher auf dem Hinweg.
Das Geröllfeld fügt mir mehrere Abschürfungen an Händen und Beinen zu. Meine Hände sind total ausgetrocknet und ich merke, wie rau die Haut ist. Sehr unangenehm.
Später werde ich außerdem feststellen, dass mein Fingerabdruck die nächsten Tage vom Laptop nicht mehr erkannt wird. Im Nachgang lustig darüber nachzudenken, aber zu der Zeit auf dem Abstieg im Geröllfeld fluche ich ab einem gewissen Punkt nur noch vor mich hin.
Aber auch das ist irgendwann geschafft. Ich wandere und klettere mich zurück Richtung Zabljak. Ich versuche mit dem Wasser zu haushalten, aber ca. 5 Kilometer vor dem Ende war es dann doch schon alle.
Ich hoffe auf einen Bach, aber es wird leider bis zum Black Lake keiner kommen.
Ich denke an die schweizerischen oder auch norwegischen Berge und das dort alle 100 Meter ein Bach plätschert. Hier ist alles extrem trocken. Dumm gelaufen.
Die letzten 5 Kilometer laufe ich nur noch in Gedanken versunken. Ich stelle mir vor, wie ich mir eine eiskalte Cola reinziehe. Oder nein, eine Fanta. Am besten Fanta Exotik. Eiskalt. Ach was, beides. Erst eine Fanta Exotik und dann die Cola hinterher.
Oh man wird das geil!
So versuche ich, meine Motivation oben zu halten. Denn ich bekomme langsam leichte Kopfschmerzen. Ein untrügliches erstes Anzeichen von Dehydration.
Gefühlt dauert der Rückweg ewig. Jeder Kilometer zieht sich wie Kaugummi. Später sehe ich aber, dass ich zurück nur ca. 5 Stunden brauchte. Der Hinweg dauerte ungefähr 6,5 Stunden.
Wobei, hinzu habe ich oft wegen der Ausblicke gestoppt und um Fotos zu machen. Auf dem Rückweg und speziell den letzten 5 Kilometern mache ich das fast gar nicht mehr. Egal.
Irgendwann erreiche ich wieder den Black Lake und stürze mich auf den Bach, den ich schon auf dem Hinweg genutzt hatte. Ich saufe mich satt. Ja saufen, nicht trinken.
Ich stecke meine glühenden Füße in das eiskalte Wasser. Oh man tut das gut. Ich nehme sie erst wieder raus, als die Kälte mir merklich Schmerzen bereitet.
Oh man, ich werde bestimmt einige Blasen bekommen. Gerade das Hinunterlaufen mit dem ständigen Abstoppen hat meinen Füßen gar nicht gut getan. Ich werde 1 Woche nur im Bett liegen, schwöre ich mir.
Bis nach Zabljak sind es zwar noch weitere 2 Kilometer, aber die sind eben und easy. Ich kaufe mir in Ermangelung eines Kiosks statt der erträumten Fanta & Cola erstmal nur ein Nuri-Eis. 2,50 EUR ist zwar sehr teuer für hiesige Verhältnisse, aber in der aktuellen Lage ist mir das egal. Ich bin erstaunt, dass sie hier Nuri-Eis haben.
Es schmeckt himmlisch! Ich merke, wie hungrig ich mittlerweile bin. Zurück in Zabljak entscheide ich mich deswegen für Pizza. Das hab ich mir verdient.
Balkan-Pizza heisst das Bistro. Ich bin gespannt. Pizza Vegetaria für 6,50 EUR + 1,50 EUR für eine eiskalte Coca-Cola Zero. Ich geniesse es, obwohl das Gemüse auf der Pizza überschaubar ist und der Käse eindeutig dominiert. Ich glaub jetzt gerade würde mir alles schmecken.
Danach schleppe ich mich zur Unterkunft, nehme eine erfrischende Dusche und döse, obwohl ich nur eine kurze Pause von 5 Minuten machen wollte, danach sofort auf dem Bett ein.
Als ich 2 Stunden später wach werde, es ist jetzt fast schon Mitternacht, bin ich froh, nicht komplett eingepennt zu sein. Ich hab doch noch gar nicht meinen Wecker gestellt. Der Bus fährt 5:13 Uhr. Wer hat sich so eine bekloppt frühe Zeit ausgedacht?
Außerdem muss ich noch meine Sachen zusammenpacken. Morgen früh wird das nichts. Selbst wenn ich 4 Uhr aufstehe. Was übrigens in 4 Stunden ist.
Auweia. Ich werde morgen so durch sein. Zum Glück ist die Fahrt nach Podgorica, der Hauptstadt Montenegros, nicht lang. Eigentlich nur 3 Stunden. Aber ich habe fast 4 Stunden Aufenthalt in Nikšić, wo ich vom Bus auf den Zug umsteigen werde.
Ich packe schnellstmöglich meine Sachen zusammen und liege ca. 0:30 Uhr im Bett. Spätestens 0:31 Uhr bin ich eingeschlafen.
An dem Tag habe ich lt. App genau 36.252 Schritte gemacht und bin dabei 321 Stockwerke hochgelaufen.
CU Ingo.